"Brauchen wir Interreg?"
Ein Interview mit dem Leiter der Verwaltungsbehörde von Interreg ABH sowie der Stabsstelle Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Regierungspräsidium Tübingen, Alexander Wolny.
Das folgende Interview wurde im Rahmen des Mitarbeitermagazins des Regierungspräsidiums Tübingen geführt.
Herr Wolny, wie und warum/ auf welcher Grundlage engagiert sich das Regierungspräsidium Tübingen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit? Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist für Baden-Württemberg vor dem Hintergrund seiner rund 500 Kilometer langen „Außengrenzen“ von großer Bedeutung, und gerade am Bodensee hat die Zusammenarbeit über nationalstaatliche Grenzen hinweg eine lange Tradition. Bereits seit den späten 1950er Jahren wird in Form der Internationalen Gewässerschutzkommission die Reinhaltung des Bodensees koordiniert. Die Internationale Bodenseekonferenz (IBK) existiert in der heutigen Form seit den 1970er Jahren. Mittlerweile sind die Themenfelder längst nicht mehr auf Gewässerschutz beschränkt. Vielmehr geht es um Belange aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft, Umwelt, Gesundheit und Soziales, Bildung und Forschung, gemeinsames Standortmarketing sowie die Stärkung der Zivilgesellschaft. Und diese Liste ist noch längst nicht abschließend. Der Tübinger Regierungspräsident ist Mitglied des sogenannten Erweiterten Ständigen Ausschusses der IBK, in dem die laufenden Prozesse begleitet und koordiniert werden. |
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Die Koordinierung von „Interreg“ gehört zur Hauptaufgabe der Stabsstelle. Welche Aufgaben beinhaltet so eine Koordinierung, oder kurz gefragt: Was arbeiten Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den ganzen Tag?
Ein grenzüberschreitendes Förderprogramm ist von Natur aus dezentral organisiert, da stets die Verwaltungen anderer Nationalstaaten involviert sind. Interreg ABH hat in Baden-Württemberg, in Bayern, in Vorarlberg in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein sog. Netzwerkstellen, bei denen Antragssteller ihre Projektideen einreichen können und auch eine Erstberatung erhalten.
Die Stabsstelle Grenzüberschreitende Zusammenarbeit besteht zum einem aus dem Gemeinsamen Sekretariat. Es führt die detaillierte und abschließende Antragsberatung durch, schließt die EU-Förderverträge ab, begleitet die Projekte während ihrer Umsetzungsphase und führt dabei insbesondere vor Ort Kontrollen durch. Das Gemeinsame Sekretariat ist auch für die Prüfung der zahlreichen eingereichten Abrechnungen und Projektberichte zuständig. Um es anschaulich zu machen: In dieser Förderperiode werden wir bis zu 80 Projekte genehmigen und betreuen. Jedes Projekt besteht im Durchschnitt aus sechs verschiedenen internationalen Partnern, bei denen förderfähige Kosten anfallen. Ein durchschnittliches Projekt hat eine Laufzeit von vier Jahren und ein- bis zweimal jährlich reichen die Projektpartner getätigte Kosten zur Refinanzierung beim Gemeinsamen Sekretariat ein. Jede dieser eingereichten Abrechnungen besteht aus 20 bis 200 Kostenpositionen, die das Gemeinsame Sekretariat zu prüfen hat.
Die Verwaltungsbehörde (VB) von Interreg ABH ist ebenfalls Teil der Stabsstelle. Sie ist für die Programmsteuerung verantwortlich und sie hat die Letztverantwortung gegenüber der Europäischen Kommission. Da wir mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung arbeiten, sind wir gegenüber der Europäischen Kommission in vielerlei Hinsicht berichts- und rechenschaftspflichtig. Auch unterliegen wir einer fortlaufenden (Rechnungs-) Prüfung durch die bei der Oberfinanzdirektion Karlsruhe angesiedelte Europäische Finanzkontrolle. Die VB überwacht sämtliche Finanzdaten und misst die Wirkung der geförderten Projekte. Zudem koordiniert sie das Zusammenspiel der Behörden in den am Programm beteiligten Ländern und Kantonen und steuert die Öffentlichkeitsarbeit. Daneben entwirft sie bereits jetzt eine Förderstrategie für die kommende sechste Förderperiode, welche 2021 beginnen wird.
Die Stabsstelle bereitet zudem die Sitzungen der Interreg-Programmgremien, dem Lenkungs- und dem Begleitausschuss vor. Die Entscheidung, ob ein grenzüberschreitendes Projekt gefördert werden soll, trifft der international besetzte Lenkungsausschuss, dessen Vorsitz ich nach nunmehr 17-jähriger Tätigkeit von Abteilungspräsident Dr. Tobias Schneider übernommen habe. Daneben gibt es den einmal jährlich tagenden Begleitausschuss als politisches Gremium, in dem vor allem über die Programmentwicklung als Ganzes beraten wird. Die letzte Sitzung fand am 18. Mai 2017 in Rheinfelden (Schweiz) unter Vorsitz von Regierungspräsident Klaus Tappeser statt.
Wie viele Projekte werden denn durchschnittlich im Jahr und mit welchem Fördervolumen betreut? Welches ist derzeit das größte Projekt, an dem Sie arbeiten?
Im Durchschnitt erhalten etwa 15 bis 20 Projekte im Jahr einen Fördervertrag. Das Volumen der Förderung variiert dabei stark, beginnend bei fünfundzwanzigtausend bis hin zu mehreren Millionen Euro Förderung. Das finanziell größte Projekt bildet unsere Beteiligung an der Elektrifizierung auf der Hochrheinstrecke (Zugstrecke zwischen Basel-Erzingen-Schaffhausen). Die Strecke hat eine hohe grenzüberschreitende Bedeutung. Hier werden voraussichtlich fünf Mio. Euro an EU-Fördermitteln abfließen.
Die Programmschienen von Interreg werden für sieben Jahre festgelegt, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Wie gelangen Sie denn zu neuen Programmschwerpunkten? Erhalten Sie Vorschläge, gibt es Beteiligungsprozesse, wer entscheidet? Und wo sehen Sie persönlich zukünftig Gestaltungsbedarf?
Eine aus Vertretern der beteiligten Ländern und Kantonen besetzte „Programmierungsgruppe“ wird sich beginnend ab Januar 2018 zunächst mit einem gewissen thematischen Raster in Form der Verordnungsentwürfe aus Brüssel beschäftigen dürfen. Die konkrete Ausgestaltung der Schwerpunkte erfolgt dann durch die Programmierungsgruppe selbst. Interreg ABH kann man daher als ein Programm aus der Region für die Region bezeichnen. Begleitet und bereichert wird die Programmierung durch einen kontinuierlichen Beteiligungsprozess mit einer hohen Zahl an Akteuren aus der gesamten Programmregion. Auch akademisches Expertenwissen und eigens angefertigte Studien werden in den Prozess einfließen.
Erste Verlautbarungen aus Brüssel gehen in die Richtung, dass die Themen Digitalisierung und Migration eine zentrale Rolle in der kommenden Förderperiode spielen werden. Ich persönlich sehe vor allem eine Aufgabe darin, die Erfolge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit noch sichtbarer darzustellen. Für das Zusammenwachsen der Region ist eine verbesserte grenzüberschreitende Mobilität sicher nicht unwesentlich. Bildung und Forschung sind weitere Schlüsselthemen unserer Region.
Muss man die Regionen rund um den Bodensee überhaupt fördern? Zeichnen sie sich nicht schon ohnehin durch wirtschaftliche Prosperität aus?
Das primäre Ziel bei der Förderung grenzüberschreitender Projekte ist das Meistern gemeinsamer Herausforderungen, eine gesteigerte Kooperation und Kooperationsbereitschaft über nationalstaatliche Grenzen hinweg, mithin ein Zusammenwachsen der Regionen. Sowohl Anstoß als auch Ergebnis dieses Prozesses ist oftmals die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit einer Region. Dies ist jedoch nur ein Aspekt unter vielen.
Was macht Ihnen bei Ihrer Arbeit eigentlich am meisten Spaß?
Ich mag das Konkrete sehr gern. Insbesondere die Gespräche mit Antragsstellenden, auch und gerade weil solche Gespräche einen Einblick in die Vielfalt und Bandbreite der Projekte gewähren. Die Sitzungen des Lenkungsausschusses, bei denen die Entscheidung getroffen wird, ob ein Projekt gefördert wird oder nicht, sind jedes Mal hochspannend. Wichtig ist mir zudem, und das gilt für die Stabsstelle wie für das Referat 24, dass die Rahmenbedingungen für meine Mitarbeitenden stimmen, damit sie ihre Arbeit gut und erfolgreich erledigen können.
Herr Wolny, vielen Dank für das Interview!